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Geschichte und Zukunft des Wohnens

Hier lege ich einige geschichtliche Dokumente vor, von denen ich einmal behaupte, dass den meisten Lesern, so versiert sie in Geschichte und Heimatkunde auch sein mögen, die im Folgenden beschriebenen Zusammenhänge nicht bewusst sind. Ich zeige hier auf, dass es moderne öko-soziale Wohnformen gibt, die nach ähnlichen Kriterien geplant wurden, wie sie in unserer abendländischen Kultur bis etwa 1800, auf dem Land meist bis 1900, Geltung hatten. Dabei sind die neuen Konzepte nicht aus der Geschichte entwickelt worden sondern nach dem heutigen Zeitgefühl. Offensichtlich gibt es so etwas wie ein Grundleitbild des Wohnens für alle Menschen, das in der Zelle oder im Unterbewusstsein gespeichert ist, das allerdings durch Zeitströmungen sehr stark überlagert und verdeckt werden kann. Wir leben in einer solchen Zeit, in der das Wohnen so stark von Moden beherrscht wird, dass die Grundahnung den wenigsten bewusst wird. Dieser Beitrag möchte durch die Beschreibung von Zusammenhängen mithelfen, dass die vergessenen Grundbedürfnisse des Wohnens wieder mehr bewusst werden.

Dass die Menschen heute das alles vergessen haben, hängt mit der ungeheueren Dynamik der neuen technischen Zivilisation zusammen, welche äußerlich so erfolgreich ist, dass an der Richtigkeit gar keinen Zweifel aufkommen kann. Dass auch Indien, China und Japan, die großen alten Kulturen, von denen wir immer noch Licht aus dem Osten erwartet haben, ihre Kultur allzusehr vom globalen Denken beeinflussen lassen, verleiht uns Westlern das Gefühl, auf dem vollkommen richtigen Weg zu sein. Unsere Geschichtsbücher und Geschichtslehrer berichten nichts von von den Lebensraumkonzepten unserer Vorfahren. Sie berichten von Konflikten und Machtstrukturen, von Spitzenleistungen der Kunst und Architektur, aber die bürgerliche Lebenskultur scheint niemanden zu interessieren. Allenfalls wird noch darüber berichtet, wie negativ das Alltagsleben früher gewesen sein muss. Über die inneren seelisch geistigen Qualitäten jener Zeiten wissen wir wenig, obwohl ja die Spitzenleistungen immer auf dem Humus der positiven Aspekte einer Gesellschaftskultur gewachsen sind.

In meiner Studie geht es um die positiven Energien der alten Kultur und darum, wie die allgemeingültigen Werte auch für unsere Zeit aktiviert werden können.

Unsere Zeit glaubt zu wissen, was Wohnen der Zukunft ist: Pultdach, Glas, Aluminium und Ökotechnik. Kaum jemand liebt diesen Stil, aber es wagt auch niemand diesem Ansatz offen zu widersprechen. Im privaten Bereich wird dann durch sentimentalen Kitsch der Ausgleich gesucht. Beide Ansätze sind oberflächlich und unecht.

Die Menschen sehnen sich aber nach mehr emotionaler und geistiger Tiefe. Die Feng Shui Bewegung hat dies deutlich gemacht, ebenso die Tatsache, dass viele Leute in der Freizeit und im Urlaub genau die Bereiche aufsuchen, in denen sie eine beseeltere Lebensraumgestalt vorfinden. Es sind die alten Ortskerne oder erhaltene Orte im Mittelmeerraum. Dazu gehört auch die Natur, soweit sie noch intakt ist.

Wohnen besteht eben aus mehr als modischer Form und nachhaltiger Technik. Das gemeinschaftliche Zusammenleben, Kinder- und Familienfreundlichkeit, Wohnen Alt und Jung, hochwertige geschützte Wohnbereiche im Freien, gesundes Wohnen, Mischung von Arbeiten und Wohnen, Naturnähe und Landschaftsbezug, Identifikation mit und Darstellung von gemeinschaftlichen Werten, harmonische und abwechslungsreiche Wohnumwelt – das alles sind allgemeingültige Vorstellungen für Lebenskultur. Vor 50 Jahren gab es noch anerkannte Persönlichkeiten, die sich mit diesen Kategorien beschäftigten und für sie öffentlich eintraten. Heute scheint das alles vergessen zu sein.

Die Zukunft kann man nicht aus der Geschichte ableiten. Auch wenn Goethe sagte: „Wer das Vergangene kennte, wüsste das Zukünftige“, meinte er nicht, dass man Geschichte kopieren sollte. Er war aber wohl überzeugt, dass die Kenntnis der Geschichte schon einige Aufschlüsse bringen kann. Mit Phantasie und Intuition können wir aus dem breiten Spektrum von geschichtlichen Bildern schöpfen und sie nach modernem Lebensgefühl neu zusammensetzen und umformen.

Aus kürzlichen praktischen Anlässen heraus möchte ich eine Verknüpfung von Geschichte und Zukunft an einigen Beispielen herstellen. Ich arbeitete an einer Dorferneuerung, die als umfassend und ganzheitlich angelegt war. In der Zeit als diese Dorferneuerung begann sprach man auch von geistiger Dorferneuerung. Ich versuchte also zunächst den alten Geist des Dorfes zu erfassen und diesen mit neuen Ideen der Lebensraumgestaltung zu verknüpfen. In der Bestandsaufnahme widmete ich mich diesem Ansatz. Es stellte sich aber heraus, dass während der intensiven Zusammenarbeit mit den anderen Planungspartnern und den Arbeitskreisen dieses Bemühen kaum zur Kenntnis genommen wurde. Die konkreten und praktischen Aufgaben erlangten immer den Vorzug des Interesses. Auch bei den relativ häufigen Dorfzeitungen kam das Thema nicht zur Sprache. So versuchte ich am Ende der Dorferneuerung das Anliegen noch einmal deutlicher darzustellen und fertigte einen Schaubildplan vom Urkataster 1837. An diesem kann man anschaulich sehen, wie das alte Dorf aussah. Im Plantext beschrieb ich die wesentlichen Eigenschaften dieser Struktur. (Siehe den gesondert ausgedruckten Text).

Urkataster 1837

Als Schaubild überarbeitet (Wobei nur die Bäume frei hinzugefügt wurden)

Idealbeispiel einer dorfgemäßen Gestaltung


Bild vergrößern: Urkataster

Text auf dem Schaubild:

Das Schaubild soll zwei Dinge verdeutlichen:

  1.  Es soll zeigen, wie unsere Vorfahren auf dem Land gelebt und ihr Umfeld gestaltet haben
  2.  Und es soll aufweisen, dass diese Grundprinzipien bei modernen Bebauungsplänen mit moderner Technik und Gestaltung auch heute wieder zu einem menschlicheren und dorfgemäßeren Lebensraum führen würden.

Es handelt sich um folgende Prinzipien:

Diese Prinzipien wurden bei mehreren modernen Siedlungsprojekten konsequent mit Erfolg angewandt.

Theodor Henzler,Dipl.Ing. Architekt BDA, Mitterkreith 2, 93176 Beratzhausen, T:09493 1530

Haus-mit-Mauer.gif
Noch vorhandene Situation in Wölsendorf

Der zweite Anlass war eine Ausstellung im Münchener Stadtmuseum über die Planungsgeschichte der Stadt. Parallel dazu lief eine Veranstaltungsreihe, in der auch die Grundsatzarbeit des Münchener Forums zur Sprache kam. Von dieser Ausstellung brachte ich eine alte Zeichnung mit, die München im Jahre 1570 darstellt. In den Baugeschichtsvorlesungen haben wir von solchen Strukturen wenig erfahren. Das Hauptgewicht lag damals wie heute auf den Spitzenleistungen der Baukultur.

Ich stellte hier eine erstaunliche Übereinstimmung mit den Grundsätzen einer neuen öko-sozialen Siedlungsplanung fest. Ich kolorierte zur besseren Anschauung die alten Zeichnungen, so dass man sie nun besser mit den neuen Planungen vergleichen kann. (Siehe Bilder München 1570)

   

Ein dritter Anlass war eine Exkursion, die ich zu verschiedenen öko-sozialen Siedlungen im Mai dieses Jahres durchführte. Hier wurde viel über die Kriterien des zukunftsfähigen Bauens diskutiert. Zum Abschluss stellte ich eine Kriterienliste auf, die es nicht nur den Teilnehmern sondern auch allen, die am Thema interessiert sind, erlaubt, ihre persönliche Wertung für Wichtigkeit der Kriterien vorzunehmen. Jeder Leser erkennt, dass die hier aufgeführten Eigenschaften in den heute üblichen Wohnprojekten kaum zu finden sind. In den öko-sozialen Siedlungen, die sich an den zukunftsorientierten Leitbildern der Agenda 21 orientieren, bemüht man sich mehr oder weniger erfolgreich, den hier genannten Eigenschaften zu entsprechen. Eine der besichtigten Siedlungen war die öko-soziale Siedlung Bamberg, von der ich hier ein Schaubild zeige. Sie erfüllt die Kriterien. Diese Siedlung wurde durch Bauherrninitiative erstellt. Sie wurde ganz ohne öffentliche Hilfe realisiert, denn bisher haben sich die öffentlichen Stellen kaum für einen solchen Ansatz gewinnen lassen. (Siehe Bamberg öko-soziale Siedlung)

Wenn man die alten Baustrukturen des Landes mit denen in der Stadt vergleicht, stellt man keinen allzugroßen Unterschied fest, außer dass die städtische Bebauung etwas dichter war. Natürlich waren auch die Erwerbsfunktionen verschieden. Interessanterweise wird von fast allen Beurteilern der neuen öko-sozialen Siedlungen die Form als nur für die Stadt geeignet bezeichnet. Das zeigt, wie wenig die Menschen über die alten klassischen ländlichen Strukturen Bescheid wissen. Heute glaubt man z. B. allgemein, Mauern wären nicht dörflich. Dabei waren diese für die meisten Bereiche z. B. in Nordbayern auf dem Land typisch. Die Mauern schlossen immer mit der Hausfront ab. Vorgärten gab es in der Regel nicht.


Bild vergrößern: Luftbildzeichnung Cherbonhof, Bamberg

Öko-soziale Siedlung Bamberg

Kriterienliste Öko-soziale Siedlungen

  1.  Ökotechnik Energien und Wasser
  2.  Unverwechselbarer ökologischer Architekturstil
  3.  Integration in Natur und Landschaft
  4.  Nutzung vorhandener Bauten, bzw. Übertragbarkeit des Konzeptes auf vorhandene Baustrukturen
  5.  Baubiologie, Ernährung, sonstige Gesundheitsaspekte
  6.  Innenbereich der Siedlung ohne Parkplätze und Garagen
  7.  Beteiligung der Betroffenen an der Planung und Daueraufgaben des Siedlervereins
  8.  Familien- und kinderfreundlich, Wohnen Alt und Jung
  9.  Wohnen und Arbeiten
  10.  Gemeinschaftsfördernde Gestaltungsprinzipien für den Städtebau
  11.  Gemeinschaftseinrichtungen mit eigenener und vermieteter Nutzung, sowie lebendige soziale Vernetzung
  12.  Lebendige soziale Vernetzung und Gemeinschaftsleben
  13.  Private Hausgestaltung nach privatrechtlicher Gestaltsatzung
  14.  Alle Wohnungen mit einsichtsgeschützten
  15.  Innengärten mit Gestaltungsfreiheit für Nebengebäude
  16.  Mietgärten für erweiterte Nutzgartentätigkeit und verpachtete Obstbäume auf den öffentlichen Grünflächen
  17.  Architekturpsychologie und Spiritualität
  18.  Führungen durch die Siedlung durch Bewohner
  19.  Öffentlichkeitsarbeit, gesellschaftspolitisches Engagement für die Idee des ökosozialen Wohnens.

Sengenthal


Beratzhausen


Ringheim


schaafheim


Wiesentheid

Das heutige Bild vom Bauen auf dem Land orientiert sich am barocken Herrschaftsschloss, das im Laufe der Jahrhunderte immer kleinere Nachahmer gefunden hat. Die Fabrikantenvillen des ausgehenden 19. Jahrhunderts waren noch recht groß. Die Villen in den „Bahnhofstraßen“, den Straßen, die im 19. Jahrhundert zwischen den Altstädten und den neuen Bahnhöfen errichtet wurden, waren dann schon wesentlich kleiner. In den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts sehen wir die Bürgervillen der Vorstädte auf ca 1000 qm Grundstücken. Und nach dem 2. Weltkrieg kam dann die Inflation der Häuschen im Grünen auf 600 qm. Heute steht oft ein großes Haus auf 400 qm eingezwängt so eng, dass man gerade noch herum gehen kann

Das Muster ist aber im Prinzip immer das gleiche. Das Haus steht frei. Der Bauherr lebt im Gefühl von „My home is my castle“, so klein auch die umgebende „Parkanlage“ sein mag. Auf der Grundstücksgrenze steht der Zaun mit Hecke. Die Freiflächen zeigen englischen Rasen. Man kastelt sich ein. Es entstehen keine kommunikativen Freiräume und Plätze mehr.

Der Individualismus zeigt sich gemeinschaftsfeindlich. So erübrigen sich auch Gemeinschaftseinrichtungen im Umfeld. An jedem Haus steht die Garage. Öffentliche Freiflächen dienen ausschließlich der Herrschaftskarosse für die freie Fahrt. Das Kinderspiel auf den öffentlichen Flächen ist deshalb sehr gefährlich. Das Haus dient dem Repräsentationsbedürfnis des Besitzers. Ein einsichtsgeschützter Wohnhof oder Wohngarten wie früher üblich ist nicht vorhanden, denn dazu ist das Haus in der Mitte des Grundstückes falsch plaziert und außerdem können vier oder fünf Nachbarn von Ihren Häusern in alle Winkel des eigenen Gartens blicken.

Freistehende Häuser sind energieungünstig. Die parkartige Baumbepflanzung verhindert die Nutzung passiver Sonnenenergie. Durch die aufgelockerte Anlage der Häuser sind Nahwärmeversorgungen und alle sonstigen Versorgungsleitungen unwirtschaftlich. Nebengebäude, welche die Wohnnutzung des Garten erst attraktiv machen, sind unzulässig. Kreative Arbeiten in Haus und Hof sind wegen der verbotenen Nebengebäude kaum möglich. Das Wohnen in solchen Häusern bietet für die Freizeit wenig Entfaltungsmöglichkeit, was zur Folge hat, dass die Bewohner ähnlich wie diejenigen von Geschosswohnungen bei jeder Gelegenheit mit dem Auto wegfahren und Erholung an anderen Orten suchen. Wegen der Monotonie der Festsetzungen ist eine Mischung von Wohnen und Arbeiten kaum möglich und das Mischen von Alt und Jung stark behindert. Für Freizeitbetätigung im unmittelbaren Wohnumfeld gibt es keine Gelegenheit.

Für einen gesunden Lebenstil bieten diese Häuser wenig, denn der Aufenthalt im Freien ist nicht verlockend, um das Haus herum zieht es ja auch meistens und körperliche Betätigung im Garten ist unüblich. Auch für sportliche Betätigung im Umfeld gibt es oft keine Angebote. Die krampfhaften Versuche einer individuellen Gestaltung von Haus und Gartenzaun führen zu Hässlichkeit. Statt eines Erfahrungsfeldes zur Entfaltung der Sinne werden diese durch durch eine Ansammlung von Baumarktkitsch beleidigt, In den großen Kulturphasen der Menschheitsgeschichte hat man die Lebensraumkultur anders gestaltet und organisiert.

Im Geschosswohnungsbau sind die Gestaltungsprinzipien im Grunde ähnlich. Auch hier das freistehende Haus in der Grünfläche mit englischem Rasen. Es gibt keinen Gemeinschaftsgeist, denn alle schließen sich in ihren Wohnungen ab. Deshalb gibt es auch keine Gemeinschaftseinrichtungen und kommunikative Stadtgestaltung ist unerwünscht. Wie im Einfamilienhaushausbau gibt es keine soziale Mischungen: Prestigeresidenzen, Altenbereiche, Stadtviertel für die unteren Einkommensgruppen, reine Wohnsiedlungen ohne Arbeitsplätze. Der Baustil der Häuser und der Freiflächen ist modernistisch und steril. Also auch hier kein Bereich für die Freizeit, kein Ort, an dem sich die Seele erfreuen könnte. Es wäre ja auch unverständlich, wenn die Geschosswohnungen aus einem anderen Geist als die Einfamilienhaussiedlungen geplant würden. In den repräsentativen Veröffentlichungen unseres Landes über Wohnmodelle wird diese Art des Bauens als Fortschritt dargestellt. In anderen Länder und Staaten dürfte das kaum anders sein.

Auch das, was von den Verbänden, den Universitäten und Regierungen unter „qualitätvoller Architektur“ an die Öffentlichkeit gelangt, atmet den selben Geist. Sie sind vielleicht etwas strenger und ungewohnter in der Erscheinung aber ebenso steril, seelenlos und gemeinschaftsfeindlich. Das, was wir heute in unserer Gesellschaft erleben, ähnelt sehr stark den Baumoden des alten Rom in der Dekadenzphase (Via Appia).

Auch das, was von den Verbänden, den Universitäten und Regierungen unter „qualitätvoller Architektur“ an die Öffentlichkeit gelangt, atmet den selben Geist. Sie sind vielleicht etwas strenger und ungewohnter in der Erscheinung aber ebenso steril, seelenlos und gemeinschaftsfeindlich. Das, was wir heute in unserer Gesellschaft erleben, ähnelt sehr stark den Baumoden des alten Rom in der Dekadenzphase (Via Appia).

Und die geschichtlichen Beispiele können zeigen, dass das, was für Körper, Seele und Geist des Menschen und der Gesellschaft gut ist, nicht all zu großen Schwankungen unterliegt.

Ich füge noch einige Beispiele von den 18 öko-sozialen Siedlungsplanungen an, die ich hergestellt und als Schaubild dargestellt habe. Diese variieren nur das Leitbildspektrum. Für eine ganzheitliche Planung ist die Sensibilität für die Betroffenen und die Situation wesentlich. Aus diesem Grund hat jede Siedlung trotz gleicher Grundprinzipien ein völlig unverwechselbares Aussehen. Hier fließen die Wünsche der Betroffenen, der Ortspolitik, der Behörden mit ein und es spielt die Siedlungsfläche mit ihrer Topographie und ihrer Beziehung zum Ort sowie zur Landschaft eine wichtige Rolle. So kann es kein Rasterschema für die Planungen geben, sondern jede Siedlung zeigt sich als Individuum, das in seiner Gestalt die Wesensstrukturen der Betroffenen und des Ortes spiegelt.

Wohnhausarchitektur

Diesen Abschnitt schreibe ich vorwiegend für den Fall, dass ein Architektenkollege den Text in die Hände bekommen sollte. In Architektenkreisen spielt nämlich die qualitätvolle Architektur des einzelnen Hauses die Hauptrolle. Diese Gestaltfrage gehört natürlich auch zur Zukunft des Wohnens, auch wenn in meinen Überlegungen das Gesamtensemble des Wohnens im Mittelpunkt steht.

In der Geschichte sind Wohnhäuser nicht von professionellen Hausgestaltern geplant worden. Dennoch war das Gestaltniveau dieser Häuser so hoch, dass diese heute alle unter Denkmalschutz stehen. Normale Wohnhäuser wurden eigentlich in der Menschheitsgeschichte nie von Architekten entworfen, weil die Bauherrn so viel Erfahrung mit dem Wohnen hatten, dass sie genau wussten, was sie wollten, wofür dann zur Ausführung die Handwerker genügten. Profigestalter wurden für Kirchen, Rathäuser, Schlösser benötigt und vermutlich auch für die Stadtplanung. Heute ist das Ideal vieler Architekten, Wohnhäuser als Kunstwerke zu planen, sozusagen als Architektendenkmale, die dann auch würdig sind, in Architektenzeitschriften abgebildet zu werden. Die Freiheit der Kunst besteht dann darin, vom Bauherrn möglichst wenig beeinflusst zu werden.

Für manche berühmte moderne Architekten wie Wright oder Neutra war der Wohnhausbau eine Kooperationsaufgabe. Neutra wollte sogar mit der Bauherrnfamilie ein Jahr lang zusammen leben, bevor er für diese ein Haus planen könnte. Wenn H. Tessenow Arbeiterwohnhäuser plante, stellte er sich auf Gestaltvorstellungen der späteren Bewohner ein, ebenso wenn er Häuser für wohlhabende Bauherrn entwarf. Damit wird nicht gesagt, dass der Architekt unnötig wäre. Im Gegenteil wird von ihm ein besonders hohes Einfühlungsvermögen erwartet. Und wenn die Partnerschaft zwischen Bauherr und Architekt gut war, dann drückt sich im Bau ganz der Bauherr und ganz der Architekt aus. Solche Partnerschaften sind leider ganz aus der Mode gekommen. Die Architekten planen im Architektenghetto und die Bauherrn bauen ohne Architekten. Bei uns entstehen etwa 95 % der Bauvorlagen ohne Architekten. Die Architektur im Architektenghetto kann sich durch Inzucht nicht weiterentwickeln und die Architektur ohne Architekten fällt auf ein sehr niedriges Niveau zurück. Unter diesem Problem leidet zur Zeit unsere Baukultur. Die Zukunft der Architektur hängt also davon ab, dass die Architekten aus ihrem Ghetto heraustreten und die Bauherrn wieder mehr die Kommumnikation mit den Architekten suchen.

Auch bei meinen Siedlungsentwürfen stellt die Architektur der einzelnen Häuser das Ergebnis des sich Einfühlens auf die potentiellen Bauherrn dar. Das Siedlungskonzept war für die Bauherrn so ungewohnt, dass wenigstens mit der Architektur der Häuser eine gewisse Erwartungshaltung der Bauherrn getroffen werden musste. Jeder Architekt, der nicht nur für den Papierkorb arbeiten möchte, stellt sich in Einfühlung auf seinen Bauherrn ein. Wenn der Architekt Glück hat, kann er dabei auch seine eigenen Vorstellungen voll verwirklichen, wenn er Pech hat, muss er etwas machen, was er gar nicht will oder den Auftrag ablehnen. Im Normalfalle wird der Architekt einige Abstriche von seinen Idealvorstellungen hinnehmen. Umfassend gesehen hängt ja die Qualität der Architektur weniger vom Architekten als vom Bauherrn ab, denn was dem Bauherrn nicht entspricht, wird nicht umgesetzt. Der Architekt kann aber seine Position dadurch ausbauen, dass er die Bauherrn in einen Beteiligungs- und Lernprozess hineinzieht. Dies geschah z. B. in der Öko-Siedlung Bamberg. Diese Siedlung hat wohl den höchsten bisher erreichten Beteiligungsgrad erreicht.

Das hatte auch Auswirkungen auf die Architektur. Schließlich konnte jeder Bauherr einen anderen Architekten wählen. Für den Siedlungsplaner bestand die Aufgabe der Entwicklung des Siedlungsplanes und der Satzungen, der Information von Bauherrn und Planern, der Werbung für die Siedlung, der Verhandlung mit Behörden und Medien und die Organisation des Genehmigungsprozesses für die einzelnen Häuser.

Auch bei meinen anderen Siedlungsplänen redeten Bauherrn, Vermarkter und Politiker mit. Das heißt, die Entwicklung einer zukunftsfähigen öko-sozialen Architektur für Wohnhäuser ist ein längerfristiger Prozess, an dem sich die Medien, Politiker, Behörden, Verbände, Universitäten etc. beteiligen können. Erst dann kann ein Wettbewerb der besten Ideen stilbildend wirken.

Der Weg, der die unwirtliche und sterile Stadt überwinden soll, wird von den Rationalisten und Modernisten als kitschig oder bieder bezeichnet werden. Erst wenn die Bemühung um eine beseeltere, sinnlichere und romantische Lebensraumgestalt in unserer Kulturdiskussion einen gleichberechtigten Stellenwert erhält, wird sich billige Sentimentalität von hohem Anspruch in der weiteren Entwicklung unterscheiden lassen.

Für eine zukunftsfähige öko-soziale Wohnhausarchitektur sehe ich bisher nur Ansätze, die in einer Gemeinschaftsaktion zu einer Form entwickelt werden kann, mit der sich dann viele identifizieren können. Das was in den letzten Jahrzehnten an Wohnhausarchitketur üblich war ist entweder laienhaft unqualifiziert oder steril und seelenlos. Das heißt, wir müssen in jedem Fall in eine neue gemeinsame Entwicklungsarbeit eintreten.

Das Wohnen der Zukunft soll nicht nur den Lebensvorstellungen und psychischen Bedürfnissen einer neuen Generation, die sich im Wertewandel befindet, gerecht werden, sondern es soll vor allem einen Beitrag zur Entwicklung der Gesamtgesellschaft leisten.

Zum Schluss möchte ich noch ein Wort von Wilhelm Landzettel zitieren, der das hier beschriebene Anliegen auf den Punkt bringt. Landzettel war bis zum Ende des letzten Jahrhunderts ein prominenter Vertretet einer Baukultur besonders im ländlichen Raum: „Es geht nicht darum, vergangene Zeiten zu verklären, denn sie waren, bei allen kulturellen Hochleistungen, genauso wie die Gegenwart von menschlicher Güte, aber auch von Bösartigkeit gekennzeichnet. Es geht eher darum, zu erkennen, dass frühere Generationen Zugang zu Wissensressourcen hatten, auf die wir zum Wohl vor allem unserer psychischen Gesundheit nicht leichtfertig verzichten sollten. Wir haben in der jüngeren Vergangenheit mit dem Hochmut unseres Intellekts viele dieser Zusammenhänge vergessen und zerstört.“

Beratzhausen Aug. 2004